Gut frisiert für den Thomismus kämpfen

In die Zeit der Arbeit an meinem ersten größeren Thomas- Buch um das Jahr 2000 herum fällt auch ein Treffen mit dem damaligen vatikanischen Diplomaten und Professor Monsignore Rudolf Michael Schmitz. Ich hatte ihn auf einer theologischen Konferenz im Tagungshaus der Kölner Opus-Dei-Gemeinde St. Pantaleon, an der wir beide als Referenten teilnahmen, persönlich kennengelernt.

Der von Kardinal Ratzinger in Rom zum Priester geweihte Rheinländer Schmitz war nur einige Jahre älter als ich, hatte nach seinem Studium an der Päpstlichen Universität Gregoriana aber schon im Vatikan Karriere gemacht und dabei eine Fülle kirchlicher Ehrentitel gesammelt. »Attaché an einer Päpstlichen Nuntiatur« irgendwo im Osten Europas, »Cappellano di Sua Santità« (Päpstlicher Ehrenkaplan), »Kaplan des Souveränen Malteser-Ritterordens« und »Professor der Päpstlichen Theologenakademie« - das sind nur einige der Titel, mit denen er sich schmücken durfte. Selbst jenen, die von diesem Schmuck nichts wissen konnten, war, wenn er auftrat, sofort bewusst, dass sie es hier mit einer besonderen Persönlichkeit zu tun hatten. Einer Priesterpersönlichkeit, die die ganze Tradition klerikaler Eitelkeiten mit einem ungebrochenen Selbstbewusstsein und großer Stilsicherheit verkörperte.

Rudolf Michael Schmitz war damals gerade Mitglied des überdimensional kostümierten »Instituts Christus König und Hoherpriester« geworden, einer kleinen Ordensgemeinschaft, die die Crème de la Crème des Parfüm- und Operettentraditionalismus bildet. Von seiner Statur hochgewachsen, sah er immer aus, als wäre er gerade eben von Friseur und Visagist aufwändig gestylt worden. Dies fiel mir umso mehr auf, da ich gerade im traditionalistischen Lager auch immer wieder sehr ungepflegt wirkenden Geistlichen begegnet war.

Als Päpstlicher Ehrenkaplan hatte er nicht nur das besondere Recht auf ein eigenes Wappen, sondern, noch viel wichtiger, das Privileg, die schwarze Soutane mit violetter Paspelierung, violetten Knöpfen und einem auffällig breiten Gürtel aus violetter Seide zu tragen, die an das Bischofsamt erinnern sollten. Von diesem Recht machte er offenbar mit Genuss, aber auch mit großer Würde Gebrauch. Dazu führte er meistens gut sichtbar ein in Safianleder gebundenes lateinisches Manuale oder Brevier bei sich. Wenn er sich bewegte, lief er nicht einfach, sondern er durchschritt den Raum, als wäre er das Zentrum einer religiösen Prozession oder eines monarchistischen Rituals. Mit seiner sonoren Tenorstimme und einer ungewöhnlich vornehmen, teilweise auch etwas antiquierten und exaltierten Sprache wurden seine Vorträge zu Inszenierungen, die ein Aroma von Heiligkeit und Tradition verströmten und so die Zuhörer begeisterten.

»Ich habe zwar vieles nicht verstanden, was er gesagt hat, aber ich komme immer viel frommer aus seinen Vorträgen und habe das Gefühl, dass es so schön ist, katholisch zu sein«, meinte einmal eine ältere Dame des Opus Dei zu mir.

Kurzum, er war wie eine Verkörperung des von Felix Krull bewunderten geistlichen Rates Chateau in Thomas Manns gleichnamigem Roman: »... ein eleganter Priester, welcher den Adel und Glanz seiner Kirche persönlich aufs überzeugendste vertrat und zur Anschauung brachte.« In dieser Hinsicht kann Rudolf Michael Schmitz geradezu als beispielhaft dafür gelten, wie die meisten traditionell katholischen Geistlichen gerne wären.

So wie Chateau die Sympathie erwiderte, die Krull für ihn empfand, verstanden Schmitz und ich uns von Anfang an gut. Die wechselseitige Sympathie wurde durch eine Begegnung während einer vom »Internationalen Zentrum für liturgische Studien« im Herbst 2000 veranstalteten Tagung in der Eremitage des Schlosses von Versailles noch verstärkt, auf der wir beide zur Bedeutung der klassischen Liturgie referierten.

Kurz darauf lud mich der Päpstliche Ehrenkaplan in das Ferienhaus seiner Eltern im Westerwald ein. Während meines Besuchs dort entstand die Idee zur Gründung des thomistischen Jahrbuchs Doctor Angelicus. Eine Zeitschrift sollte entstehen, die das Studium der Werke des Thomas von Aquin und seiner großen Schüler vor allem im deutschen Sprachraum, aber in enger Verbindung mit konservativen Kräften innerhalb des Vatikans propagierte.

Die damals entworfene Idee wurde 2001 Realität und machte im katholischen Deutschland ein wenig Furore, da es solch eine Zeitschrift schon viele Jahrzehnte hier nicht mehr gegeben hatte und sie sogleich als wissenschaftliches Gegenprogramm zur Modernisierung von Theologie und Kirche aufgefasst wurde. So urteilte das Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie zwei Jahre später nicht ganz unzutreffend: »Jüngste Bemühungen im deutschen Sprachraum, über das seit 2001 erscheinende thomistische Jahrbuch >Doctor Angelicus< einen Thomismus zu etablieren, der sich ausdrücklich gegen Brückenschläge zur modernen Philosophie richtet, scheinen primär revisionistische Intentionen gegen zeitgenössische Theologien zu leiten.« [36] Später, als er in den USA Generalvikar des »Instituts Christus König und Hoherpriester« geworden war, musste Schmitz seine Mitarbeit einstellen, doch die Zusammenarbeit mit ihm in den ersten Jahren des Jahrbuches war im Hinblick auf die internationalen Kontakte, besonders in den Vatikan, äußerst hilfreich für mich.

Schließlich sei noch ein Ereignis erwähnt, das mir deutlich machte, dass wir - so unterschiedlich sich unser Auftreten und Privatleben gestalteten - gleichsam aus ähnlichem Holz geschnitzt waren. Zur Feier der Jahrbuchidee hatte mich Schmitz zum Abendessen eingeladen. Wir waren mitten im tiefsten Westerwald, so dass ein Restaurant, das dem Anlass angemessen gewesen wäre und in dem sich der feine Geistliche zu Hause gefühlt hätte, praktisch nicht erreichbar war und wir mit einer Dorfkneipe vorliebnehmen mussten.

Der Päpstliche Ehrenprälat hatte sich nach allen Regeln kirchlicher Kleidungskunst in Schale geworfen, und als wir die Gastwirtschaft betraten, legte er nach seinem feierlichen Einzug, bei dem er den wenigen, perplex dreinschauenden Gästen zur Begrüßung huldvoll zugewinkt hatte, den weiten schwarzen Mantel, den er über der Soutane trug, ab. Er ließ sich mit einem leisen Stöhnen auf einem Stuhl nieder, streifte mit großer Geste die schwarzen Lederhandschuhe von seinen schmalen Händen, um dann mit theatralisch erhobener Hand und in einer Weise, als würde er »Der Herr sei mit euch« singen, mit seiner hohen, lauten Stimme durch den ganzen Gastraum zu rufen: »Herr Ober, die Karte bitte!«

Dem Publikum, das diese Aufführung zu sehen bekam, fehlte es aber an Gespür für solches Aroma der Heiligkeit. In unserer Nähe saßen schon etwas angetrunkene Landjugendliche, von denen sich einer daraufhin die Bemerkung nicht verkneifen konnte: »Was ist denn das für ’ne Tunte?« Die anderen lachten, ich nahm an, dass der Ausspruch nicht mir gegolten hatte, und Schmitz ignorierte die Bemerkung.

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich fand die Bemerkung niveaulos - und unberechtigt sowieso. Andererseits war Schmitz keineswegs der einzige Kleriker, den ich während meiner mehr als zehn Jahre währenden Tätigkeit im Dienste der katholischen Kirche kennenlernte, dessen Verhalten geeignet war, bei schlichteren Gemütern solche oder ähnliche Äußerungen zu provozieren.

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